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Mein Sommer mit Rilke oder Ein Buch auf dem Nachtkästchen
essay [ ]
Kolumne 71

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von [Delagiarmata ]

2009-10-17  |     | 



Eine Großtante meiner Mutter zog vom Betreuten Wohnen ins Pflegeheim. Der Haushalt musste aufgelöst werden. Nur ein Bruchteil von ihrem Hab und Gut konnte mitgenommen werden. Aufteilen hieß es, verschenken und das eine oder andere aufbewahren. In einer Schublade mit unzähligen Heiligenbildchen und einigen Kirchenbüchern lag auch dieses: Rainer Maria Rilke - Die schönsten Gedichte. Hartgebunden, mit rotem Leseband und auf der Rückseite das Zitat von Robert Musil: „Dieser große Lyriker hat nichts getan, als daß er das deutsche Gedicht zum ersten Mal vollkommen gemacht hat.“ (Schreibweise übernommen). Wie er, also Rilke, das getan hat, wollte ich wissen und rettete das Buch vor dem bereitgestellten Papierentsorgungswäschekorb.

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, / die sich über die Dinge ziehn. / Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, / aber versuchen will ich ihn.“ Kann man sein Leben bewusst bis zum letzten Ring gestalten? Wie vielen Menschen ist das überhaupt gegönnt? Aber es bleibt ein erstrebenswertes Ziel. Und das machte mir Mut zum Weiterlesen, innerlich auf gerade Rhythmen und spielende Reime vorbereitet. Es war ja auch Sommeranfang. So viel Leben. Und da darf auch Gott zu seinem Recht kommen. Das ist auch der Gläubigen Recht, und es ihnen zu verwehren, wäre die Spitze der Intoleranz. „Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, / und ich kreise jahrtausendelang; / und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm / oder ein großer Gesang.“

Der Schwung bleibt trotz oder vielleicht dank vieler „Brüder in Sutanen“. Und immer wieder Gott, „mein Gott“. Gedicht für Gedicht, dünkt mir, rückte hier ein Mensch von sich ab und wandte sich dem Allmächtigen immer bedingungsloser zu, bis es da heißt, „Gott, du bist groß.“ Und nur ein Gedicht weiter: „Was wirst du tun, Gott? Ich bin bange.“ Damit geht schon eine gewisse Schwere des Gemüts mit einher. Dieser äußerste Ring wird zum Problem. „Da leben Menschen, weißerblühte, blasse, / und sterben staunend an der schweren Welt.“

Der Himmel bevölkert sich. Engel leisten Gott Gesellschaft. Rilkes Lyrik mündet langsam aber sicher in die Gebetsbuchsprache. „Herr: Wir sind ärmer denn die armen Tiere, / die ihres Todes enden, / wenn auch blind, / weil wir noch alle ungestorben sind.“ Und mir leuchtet plötzlich ein, was ein Rilke-Gedichtband bei den vielen Heiligenbildchen und einem vergilbten Katechismus aus dem Jahre 1937, erschienen in Temeswar, zu suchen hat.

Einige Sommertage waren bereits ins Land gezogen, als sich Das Buch der Bilder auftat und die ersten betitelten Gedichte auf mich warteten: Der Knabe, Herbsttag, Ernste Stunde ... und mit dem Schluszstück das Demutszeichen. „Der Tod ist groß. / Wir sind die Seinen / lachenden Munds. / Wenn wir uns mitten im Leben meinen, / wagt er zu weinen / mitten in uns.“ So eine Frechheit! Um nicht deutlicher zu werden...

Das Ende war allerdings noch in weiter Ferne, des Sommers wie auch des Buches auf meinem Nachtkästchen. Die Auswahl Neue Gedichte wollte gelesen werden. 1907/08 sind sie entstanden. Es ist fast wie eine Rückkehr auf die Erde. Reale Gegenstände und Lebewesen sollen zum Nachdenken und Mitfühlen anregen. Das tun sie auch und erleichtern das Lesen: Der Panther, die Blaue Hortensie, der Papageien-Park usw. Vierzeiler-Strophen, Sonette, auch freiere Formen, aber dem Reim stets treu bleibend, wechseln sich ab. Man kann Gedichte lesen, auch im Sommer. Warum denn nicht?

Vielleicht weil es die Duineser Elegien gibt. Drei Jahre vor seinem Tod schien Rilke intensiver als je zuvor nach dem Schlüssel zu unserem Dasein zu suchen. Doch, o weh, nicht hier, wo dieses sich entfaltet, sondern dort (oben), wo es mehr als fraglich ist. „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel / Ordnung? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.“ So beginnt Die erste Elegie. Man kommt an diesen langen Sommerabenden eh nur so spät ins Bett. Da sind Augen und Geist kaum noch empfänglich für derart schwer entschlüsselbare Verse. Nach der Sechsten Elegie verschwanden Rilkes Schönsten Gedichte unter einer MATRIX-Nummer (Literaturzeitschrift) und Martin Walsers Tod eines Kritikers.

Urlaub. Rilke blieb daheim, auf dem Teppich vor dem Bett. Leichtere Urlaubslektüre beanspruchte ihr Daseinsrecht. Der Spätsommer war dann doch noch gekommen und mit ihm etwas frühere Abendstunden. Dann war irgendwann auch die Zehnte der Elegien geschafft, die eine oder andere von ihnen gelesen und wieder wiedergelesen.

Nun war aber noch lange nicht Schluss. Die Sonette an Orpheus warteten schon, ganze 55 an der Zahl. Ein Dichteruniversum tat sich auf, mal köstlich anzuschau’n, mal voller Graun. Und Zeitloses ist auch dabei: „Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank / und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener / Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner / wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank.“ (XIX). Es waren keine 55 Abende mit Rilke, aber bestimmt mehr als drei Wochen, bis ich das letzte Sonett mit den Augen vertilgt hatte. Der Meister hat gerade mal diese Zeit benötigt, um sie zu schaffen, sein Meisterwerk, Grundstein für literarische Unsterblichkeit, schreibt die Literaturwissenschaft.

Am 29. Dezember 1926 ist Rainer Maria Rilke gestorben. Obwohl in seinem Nachlass noch Unveröffentlichtes seinen Schöpfer überlebte, erreichte mich der Winter nicht mit Rilke neben dem Kopfkissen. Die ersten Septembertage. Herbstbeginn. Man fühlte ihn an der Luft und sah ihn am Licht. Der Sommer war dahin und Rilkes letzte Verse endlich gelesen. „Erinnerungen reiß ich nicht herein. / O Leben, Leben: Draußensein. / Und ich in Lohe. Niemand der mich kennt.“

So viel Geheimnis, Deutbares, Überirdisches und vor allem so viel Gott. Letzterer, wohl nur seine immer wiederkehrende Erwähnung, wird die Erklärung für die Existenz dieses Gedichtbandes zwischen den Heiligenbildchen der alten Tante mit ihren in den 1920er Jahren absolvierten vier Volksschulklassen sein. Wie gut, dass sie nicht weiß, dass Rilke ein Atheist war und seine Lyrik „mit christlicher Denkweise nichts zu schaffen hat“, wie Uwe Heldt, der Herausgeber dieses Bandes, im Anhang festhält.

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