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Wunderzeit
artikel [ Bücher ]
Roman von Catalin D. Florescu

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von [franziskus ]

2004-08-05  |     | 



"Wunderzeit". Roman von Catalin Dorian Florescu
(Pendo Verlag Zürich, 2001)

"Als ich geboren wurde, war es für den ersten Mondflug zu spät..." sagt Alin Teodorescu, ein rumänischer Junge und Held in einem Schweizer Roman mit dem Titel "Wunderzeit".
Diesen Roman hat im Jahr 2001 ein erwachsener Schweizer veröffentlicht, der selbst einmal ein rumänischer Junge war: Catalin Dorian Florescu.
Es ist sein erster Roman.
Florescu lebt in Zürich. Dort sieht man ihn im Café Greco täglich Zeitung lesen, außer er ist in der Schweiz, in Deutschland oder Österreich unterwegs, um aus seinen Romanen vorzulesen. Er trägt immer ein schwarzes Käppi, ist sehr freundlich und kann stundenlang spannend erzählen.

Für den Mondflug ist es 2004 erst recht viel zu spät. Aber ich finde es nie zu spät, "Wunderzeit" zu lesen.

Diese 283 Seiten lange Geschichte geht so:

Wir schreiben 1982. Der rumänische Junge Alin ist 15 Jahre alt. Er sitzt an der rumänisch-jugoslawischen Grenze fest. Samt seinen Eltern, dem Auto und dem Anhänger. Sie wollen über das Ende des Vaterlandes hinausfahren und nicht mehr zurückkommen.
Das ist ziemlich unerwünscht beim Obergenossen Ceaucescu in Bukarest und bei dessen Jungs, die an der Grenze schwitzen, während sie den leeren Parkplatz des Grenzpostens bewachen.
Alins Vater muss in die gelbe Zollbaracke und kommt lange nicht zurück. So Alin hat viel Zeit, uns über sein Leben zu erzählen:

Die meiste Zeit hat er in Temesvar gelebt. Dort gibt es große Wohnblocks, enge Wohnungen, ein bisschen Strom, Außerirdische, aufregende Mädchen und eine Geschichtelehrerin mit schönen Beinen.
Alin hat schon einige Wunder erlebt. Einmal durfte er mit Vater sogar eine Reise machen. Nach Italien und Amerika.
In Italien hat er sich in ein schönes Mädchen verliebt. Sie hat ihn auf dem Motorrad mitgenommen. Wenn er größer gewesen wäre, hätte er sie sogar küssen dürfen.

Sein Vater hat sich früher auch oft verliebt. Er wollte Pilot werden. Dann hatte er eine Liebesgeschichte. Und wurde nur Hausverwalter.
Dafür hatte er aber Beziehungen. In Amerika haben sie Alins Beine operiert. Damit er keine schweren Schuhe mehr tragen muss. Vater hat das alles organisiert. Alin liebt seinen Vater über alles.
In Amerika haben sie sich gefürchtet. Und sind nach Rumänien zurückgekommen. Mutter war wütend und nannte Vater einen Waschlappen. Sie wollte nämlich nach Amerika nachkommen.
Die Verwandten haben dann geglaubt, dass er ein Spion ist. Nur Spione kommen zurück. Dabei wurde Vater immer rot vor Zorn, wenn er den Obergenossen im Radio hörte.
Alin ist ein Filmfreak. Obwohl die Eltern immer Strom sparen, sieht er viele italienische Filme. Er glaubt an Außerirdische, denkt viel über Mädchen nach und die Beine der Geschichtelehrerin.
Und erinnert sich, wie Ariana in Temesvar vor dem Abschied seine Hand hielt, obwohl er ihr über seine Krankheit erzählte. Lauter Wunder.
Das letzte Wunder geschieht schließlich an dieser Grenze, und zwar im Augenblick, in dem sich Alin fertig erinnert hat: Sie dürfen ausreisen.

Kein Wunder wäre es, wenn aus diesem Alin später ein erwachsener Schweizer Schriftsteller geworden ist, der solche Sätze schreibt:

"Als ich geboren wurde, war es für den ersten Mondflug zu spät. Dabei wäre ich so gerne mitgeflogen. Apollo 11. Armstrong, Aldrin, Collins. Als Armstrong von der Leiter der Apollokapsel herabsprang, erbrach ich den Milchbrei auf die Bluse des Hausmädchens."

"Es war nicht einfach, in einer Familie aufzuwachsen, die so viel Strom sparte."

"In diesem unserem Land wohnten wir überhaupt alle eng beeinander. Das stärkte unser sozialistisches Lebensgefühl. Bestimmt. Enger wäre es nur gegangen, wenn wir alle in der gleichen Wohnung gelebt hätten."

"Es gab in unserer Nachbarschaft siebzehn Schwiegereltern und zwölf Haustiere."

"Wenn Menschen mit einem Mitleid haben, dann werden die Stimmen weicher, und es wird "Ärmster" gesagt. Manche hatten wegen der Krankheit Mitlied mit mir."

"Der Fahrstuhl funktionierte. Gott sei Dank. Acht Stockwerke im Dunkeln hinaufsteigen macht keinen Spaß, wenn man an Außerirdische glaubt."

"Nur Erwachsene sehen schwarzweiß. Wir Kinder nie."

"Vater ging schon lange nicht mehr in die Schule, er wusste nicht, dass unser Führer für unser Wohl im Gefängnis gesessen war und sich persönlich tagtäglich um die Ernte kümmerte, die in die Büchsen hineinkam."


Am liebsten würde ich ja nur lauter Sätze aus dem Buch abschreiben und sagen: "Sie müssen diesen Roman unbedingt lesen."
Aber was würden Sie dann von mir denken? Dass ich zu faul bin, eine Kritik zu schreiben oder dass ich - wie sagt man? - nur einen Kniefall vor dem Catalin Florescu machen will. So wie der Schweizer Deutschprofessor Peter von Matt, der gesagt hat:
"Aus jeder Zeile, jedem Abschnitt strahlt einem das Vergnügen entgegen."
So steht es jedenfalls im Pressetext vom Pendo-Verlag.

Gut. Ich bin sehr spät dran mit meiner Kritik. Dabei gibt es schon so viele tolle Kritiken in deutschen, schweizerischen und österreichischen Zeitungen. Die bekommt man vom Pendo-Verlag gratis zugeschickt, und das besonders schnell, wenn Catalin Florescu dort anruft.
Ich war sehr beeindruckt. In vielen sehr gescheiten Kritiken wird erklärt, welche Tricks und Künste Florescu beim Erzählen angewendet hat. Das ist mir beim Lesen gar nicht aufgefallen, denn ich habe nur gelesen und gelesen...

Von Seite 8 bis 274, während der Vater ins Zollhaus geht und bis er wieder zurückkommt, erzählt Alin die ganze Geschichte seines 15jährigen Lebens. Und innerhalb dieser ganzen Geschichte kommt wiederum der Abschiedsbesuch bei der Großmutter vor, ein paar Tage vor der Ausreise, wo sie ihn vor der Schreibmaschine des Großvaters sitzen lässt.
Bis Großmutter wieder aus der Küche herauskommt, erzählt Alin 209 Seiten lang, was auf der Italien-Reise passiert ist und warum Vater und Sohn aus Amerika wieder nach Rumänien zurückgekehrt sind.

Ich bin sehr stolz auf Catalin Florescu, dass er all diese Kniffe absichtlich eingesetzt hat. So hat er seinem Ich-Erzähler einen schönen Rahmen vorgegeben, und es konnte nichts mehr schief gehen beim Fabulieren.
Die meisten Kritiker sagen sehr korrekt "Ich-Erzähler" zum Jungen Alin. Alin ist schließlich nicht Cat-Alin!
Manche brechen aber trotzdem das Tabu und nennen den Roman "biografisch gefärbt".
Aber keiner traut sich offen zu sagen, was sich ohnehin fast alle denken: Das ist die Geschichte des Catalin Dorian Florescu. Und was zu einem guten Roman, den alle gern lesen, gefehlt hätte, das hat er wohl erfunden. Und nicht schlecht. Jedenfalls nennt man das dann "Ich-Erzähler".

Einer der Kritiker war ziemlich ungebildet. Der wusste gar nicht, dass sich 1982 der Eiserne Vorhang noch keinen Millimeter gehoben hatte. Und dann hat er noch von einer anderen Kritikerin abgeschrieben, dass Florescu in seinem Buch "banale Kalauer" zum Besten gibt. "Kalauer" sind laut einem österreichischen Wörterbuch "geistlose Wortspiele". Und wissen Sie, was dieser eingebildete Kritiker selbst schreibt?
Er schreibt:
"Die Geschichte von Alin kommt leichtfüßig daher".
Toll! Alin leidet nämlich an einer heimtückischen Muskelkrankheit, die nur mit schweren orthopädischen Schuhen auszuhalten ist! Eine leichtfüßige Geschichte also, wahrlich!

Seinen Vater liebt Alin über alles. Der tut alles für ihn, massiert ihm die Füße, wenn die schweren Schuhe drücken und kommt ins Krankenhaus gerannt, als Alin in Amerika operiert werden muss.
Eine Kritikerin ist verwundert, dass in der Literatur jemand so "ungehemmt für seinen Vater schwärmt".
Ja, das sind unsere Kritiker im deutschen Sprachraum von anderen Schriftstellern nicht gewohnt. Wenn man in einem Roman - oder in einer psychologischen Selbsthilfegruppe - so für seinen Vater schwärmt, verliert man schnell sein Image.
Ich denke, Florescu muss ein guter Psycho-Therapeut gewesen sein. Das war er nämlich von Beruf, bevor er hauptberuflich Romane zu schreiben begann - und Kolumnen für den "Züritipp".

Ein Schweizer Kritiker findet es "kompositorisch" höchst intelligent, dass trotzdem immer der Sohn im Mittelpunkt des Romans steht, obwohl der Vater immer und überall im Buch vorkommt.

Was alle Kritiker wirklich verblüfft, ist die Erzählfreudigkeit von Florescu.
Sie finden das bei einem heute lebenden Roman-Autor anscheinend gar nicht selbstverständlich. Und offensichtlich gefällt es ihnen ja auch. Aber sie glauben, sie dürften das beim ersten Roman nicht zu sehr loben, damit Catalin Florescu nicht verdorben wird und beim nächsten Roman in triviale Geschwätzigkeit abgleitet. Und damit er literarisch ein wenig disziplinierter wird.
Sie nennen es überbordende Fabulierlust, Erzähltemperament, erfrischende Erzähllust, munter daherplaudernd, usw.

Eine Kritikerin der FAZ befürchtet aber, dass wir auf die Idee kommen könnten, dass Kommunismus etwas Lustiges ist und dass Florescu ein Slapstick-Programm daraus macht.

So gern trennen sich halt demokratisch aufgewachsene Kritiker nicht von der Vorstellung, dass in Rumänien
alles sehr düster gewesen sein muss und dass alle Kinder - und noch dazu behinderte! - nur mit unglücklichen Gesichtern herumgelaufen sein müssen.
Sie verstehen nicht, dass auch eine Diktatur das Augenzwinkern nicht verbieten und vertreiben kann.

Mir scheint, die Kritiker sind von Florescus Erzähltemperament so ähnlich überrascht wie die elegante deutsche Dame über die hübsche rumänische Studentin, die sie in ihrer stürmisch-romanischen Art begrüsst hat, als sie sich zum ersten Mal sahen, so mit Umarmung und Schmatz auf die Wange, statt mit Knicks und Handkuss.

Der Schweizer Kritiker allerdings vergleicht Florescu sogar mit Jaroslav Hasek und nennt seine Sprache erfrischend leicht, einmal kindlich-naiv, dann wieder spitzbübisch-schelmisch und bisweilen drastisch-unverfroren. Er meint, es liege auch daran, dass Florescu erst in seinem späteren Leben deutsch schreiben gelernt hat und der Sprache deshalb unbelasteter als andere gegenübersteht.

Ich denke, er will damit sagen, dass Florescu einfach darauf pfeift, was Professoren und Kritiker meinen,
wie man heutzutage schreiben darf und wie es viele Autoren auch halten, um diese Langeweiler gütig zu stimmen. Und wie sie dann furchtbar experimentell und fad schreiben!

Die Kritikerin einer Tiroler Zeitung pfeift schließlich auf Kritiker-Allüren und findet spontan: Florescus Roman "ist ein aktuelles, ein frisches und lustiges Buch. Und man spürt förmlich, dass uns junge Menschen wie Catalin Dorian Florescu noch viel über ihr Leben vor der "Wende" und über uns zu erzählen haben."

"Der direkte Blick der nonkonformistischen Jugend aus Rumänien schlägt sich eben auch in der Sprache nieder, und manchmal wie eine Faust auf unsere braven Vorurteile. Diesen jungen Menschen, die in deutscher Sprache schreiben, geht es immer um den direkten Blick aufs Leben. Sie sind selbstbewusst und enthusiastisch, leben zwischen Euphorie und Enttäuschung, und so schreiben sie auch."

So formuliert es eine, die es wissen muss: die 25jährige Dana Grigorcea aus Bukarest, eine Journalistin und Autorin aus der "erwartungsvollen Generation", die einen "plötzlichen Sprung wagt, nach jahrelanger kommunistischer Repression, einen Sprung, der nur manchmal stolpert an der Angst der Mitmenschen, diese Freiheit zu teilen."

Für mich ist Catalin Dorian Florescu trotz seiner Jugend bereits ein Doyen dieser Autorinnen und Autoren rumänischer Herkunft. Er ist alles andere als ein Rumänien-Nostalgiker. Er schreibt deutsch und sucht beharrlich seinen Platz in der deutschsprachigen Literatur. Er will "auf der Höhe seiner Sprache gemessen werden, nicht an seiner Fremdheit."

Mit diesem Roman hat er sich nicht nur in die Deutsch-Klasse eingeschrieben, er hat sich damit gleich in eine vordere Reihe gesetzt.

2002 hat Catalin Dorian Florescu seinen zweiten Roman "Der kurze Weg nach Hause" veröffentlicht - das ist wieder eine andere Geschichte wert - und zur Zeit arbeitet er schon an seinem dritten.

Ach ja, ich wollte selbst auch etwas kritisieren!
Florescu lässt seinen Ich-Erzähler sagen:

"Als ich geboren wurde, war es für den ersten Mondflug zu spät. [...] Als Armstrong von der Leiter der Apollokapsel herabsprang, erbrach ich den Milchbrei auf die Bluse des Hausmädchens."

Herr Florescu! Wäre Neil Armstrong von der Apollokapsel heruntergesprungen, wäre tatsächlich alles zu spät gewesen!
Die Apollokapsel kreiste ziemlich hoch oben in der Mondumlaufbahn mit dem einsamen Michael Collins im Inneren.
Armstrong hopste von der untersten Leitersprosse des "Eagle". So hieß damals die Mond-Landefähre.



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