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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2008-12-17 | |
Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser hat in der in diesem Herbst über die Bühne gegangenen Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie auf die 8%-Forderung der IG Metall mit der Bemerkung reagiert: „Die haben wohl nicht alle Tassen im Schrank.“ Für die Sprecher der Gewerkschaft war das eine viel goutierte Stichwortvorgabe. Der bayerische und weiß Gott nicht aufs sprichwörtliche Maul gefallene IG-Metall-Bezirkschef Walter Neugebauer hat vor den Erdinger Tarifverhandlungen, am 27. Oktober 2008, die beendet waren, ehe sie überhaupt recht begonnen hatten, der johlenden und pfeifenden Gewerkschaftsdemonstranten sogar einen echten Schrank voller Tassen präsentiert. Da schaut her, wir haben doch noch alle Tassen im Schrank.
Sie waren wirklich alle drin, die IG-Metall-Tassen, im Schrank. Nur die 2,3 Millionen Mitglieder dieser größten Einzelgewerkschaft Europas waren anscheinend nicht alle mit allen Tassen bei der Sache. Als ich aus einer Vertrauensleutesitzung in die Abteilung kam und dem ersten mir begegnenden Kollegen voller Kampfeslust (noch) frohgemut mitteilte, dass uns am 17. November eine Urabstimmung bevorstehen könnte, bekam ich eine Dusche in Form von großen, angstgeweiteten Augen und der spontanen Replik: „Muss das sein? Schau mal zu Opel und BMW. Die entlassen schon. Lieber eine Arbeit als mehr Lohn.“ „Immer, wenn wichtige Entscheidungen anstehen, taucht der Monumentalzweifel auf“, war in diesem Herbst in der SÜDDEUTSCHE-ZEITUNG-Beilage UNI & JOB zu lesen. Tja, so schnell und so hart landet man als unverbesserlicher und mit einem schon an Naivität grenzenden Optimismus ausgestatteter Gewerkschaftsfunktionär der untersten Ebene wieder auf dem Boden der Tatsachen, wo man ja eigentlich auch hingehört. Ich traute meinen Ohren nicht, wollte nicht wahrhaben, was da um mich geschah und provozierte regelrecht das Unvermeidliche. Bedenkenträger und noch mal Bedenkenträger, wohin ich auch sah. Das vernahm ich sowohl in Worten als auch in beharrlichem Schweigen. Von stoisch aufbegehrenden Tassen war da keine Spur. Das war ein erbärmlicher Scherbenhaufen, in den ich da getreten war. Außer Angst vor einem Streik konnte ich in den Gesichtern der meisten meiner Arbeitskollegen überhaupt nichts erkennen, keine Spur von selbstbewussten Mitgliedern der größten Einzelgewerkschaft Europas. Und als das Resultat kam, war das erleichterte Auf- und Ausatmen fast so stark, dass es einen schier umhauen konnte. Überrascht war ich dann wiederum, als ich im Vertrauensleutekreis mit meiner Beobachtung von der „Streikbereitschaft“ meiner Kollegen fast schon höhnisch kontriert wurde, das wäre in anderen Arbeitsgruppen ganz und gar nicht so gewesen. Dort hätte es eine potentielle Streikbereitschaft gegeben und die Mitarbeiter seien darum mit einer 4 vor dem Komma alles andere als zufrieden. Dass ich mit meinen Beobachtungen allein dastehe, muss ich trotzdem nicht befürchten. So wird der Augsburger IG-Metall-Chef Jürgen Kerner in der NEUBURGER RUNDSCHAU vom 12. November 2008 mit der Aussage zitiert: „Die Beschäftigten sind nicht streikwütig, aber sie wollen eine angemessene Lohnerhöhung haben.“ Als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär muss er sich natürlich diplomatisch ausdrücken. Aber erkannt hat er die wahre Stimmung allemal. Ja, meine Gewerkschaft hätte in dieser Tarifrunde 2008 für die Metall- und Elektroindustrie unter außergewöhnlichen Bedingungen, die in den Vorboten einer globalen Rezession lagen, wahrlich mehr verdient, aber meine eingeschüchterten Kollegen haben – so leid mir das für sie tut – mehr bekommen, als ihnen gebührte. Denn wer in einer freien, einst sogar sozialen, Marktwirtschaft für seine gerechten Ansprüche nicht kämpft, wird Gerechtigkeit nur selten erfahren. |
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