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VOLK UND KULTUR vom KGB bespitzelt
artikel [ Bücher ]
Das Schwarzbuch des KGB von Christopher Andrew und Wassili Mitrochin

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von [Delagiarmata ]

2008-11-15  |     | 



Nicht nur Erinnerungsbücher mit mehr oder weniger spektakulären, mehr oder weniger ehrlichen, aber immer auf Medienwirksamkeit ausgelegten Enthüllungen haben die vergangenen 20 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geprägt. Stéphan Courtois’ Schwarzbuch des Kommunismus hat seinerzeit, es war 1998, viele Diskussionen pro und kontra ausgelöst. Sein Buch könnte ob der angegebenen 100 Millionen Opfer des Kommunismus zur Relativierung des Holocaust mit seiner Einmaligkeit beitragen, warf man Courtois und seinen Mitarbeitern damals vor.

Wie auch immer, eine der Organisationen, die am meisten für diese enorme Opferzahl verantwortlich gemacht wird, ist der sowjetische Geheimdienst KGB. Bereits ein Jahr nach dem Schwarzbuch des Kommunismus ist auch Das Schwarzbuch des KGB erschienen. Die englische Originalausgabe trägt den Titel „The Mitrokhin Archive: The KGB in Europa and the West“. Ein Historiker, Christopher Andrew, und ein gewesener Mitarbeiter eines „der geheimsten und am strengsten bewachten Archive der Welt – dem des sowjetischen Auslandsnachrichtendienstes, der Ersten Hauptverwaltung (Ausland) des KGB“, Wassili Mitrochin, haben zusammengefunden und das Resultat ihrer Arbeit kann sich sehen lassen. Mitrochin hat sich aus eben diesem „geheimsten und am strengsten bewachten“ Archiv reichlich bedient, ein eigenes Archiv angelegt und es vom englischen Nachrichtendienst SIS außer Land schaffen lassen. Das war allerdings schon im Jahre 1992, also drei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und ein Jahr nach der Auflösung der Sowjetunion. Trotzdem barg diese Flucht und die Außerlandbringung von „sechs randvoll mit ausführlichen Notizen gefüllte Kisten“ viel Risiko in sich. Die „streng geheimen KGB-Akten“ enthalten Informationen über die sowjetischen Spionagetätigkeiten weltweit, zwischen 1918 und 1984. Das FBI wertet den Inhalt der Kisten als das „vollständigste und umfangreichste Nachrichtenmaterial, das je von irgendeiner Quelle beschafft wurde“.

Andrew und Mitrochin haben das Material, oder was sie davon für öffentlichkeitstauglich hielten, in eine ansprechende, leicht lesbare, teilweise auch spannungsgeladene und mit etwas James-Bond-Hauch versehene Prosaform gebracht und ein mit einem Anhang von 162 Seiten bereichertes Buch vorgelegt. 27 Kapitel von „Lenins Tscheka“ bis zur „Polnischen Krise und der Zerfall des Ostblocks“ gewähren Einblick in sowjetische Agententätigkeiten und das oft spannungsgeladene Verhältnis zwischen meist hoch intelligenten Agenten – rekrutiert von renommierten Universitäten in England, USA, Frankreich usw. – und den meist geistig mittelmäßigen und fast immer paranoiden kommunistischen Partei- und Staatschefs in Moskau.

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Man kann sich als Leser dieses interessanten Buches natürlich die eigene Biographie tangierenden Rosinen herauspicken. Für einen zeitgeschichtlich interessierten Rumäniendeutschen könnten die einen oder anderen Hinweise auf die gestrige oder heutige Heimat sogar Analogiequellen zur eigenen Vergangenheit freilegen.

Wenn ich da zum Beispiel lese, dass Lenin und sein Tscheka-Chef (Vorgängerorganisation des KGB) Dserschinski „tiefes Misstrauen gegenüber den Hilfsleistungen“ der American Relief Association (ARA) für die ausgehungerten Sowjetbürger des Jahres 1921 hegten, dann fallen mir die in Jahrmarkt/Giarmata/Banat sesshaft gewordenen Bessarabiendeutschen ein. Ihr Aufkreuzen in unserem Dorf war eine Folge der Hungersnot, verursacht durch den Bürgerkrieg in der Sowjetunion.

In diesem Bürgerkrieg spielte Rumänien eine passive Rolle, operierten von seinem Gebiet aus doch noch einzelne Partisanengruppen gegen die inzwischen auch in der Ukraine siegreichen Bolschewiken. Der sowjetische Geheimdienst, damals GPU (Gossudarst Wennoje Politischeskoje Uprawlenje – Staatliche Politische Verwaltung), lockte den ukrainischen Exilgeneral Jurko Tutjunnik zurück in die Ukraine. „Am 26. Juni 1923 begab sich Tutjunnik mit seinen Leibwächtern und Beratern in einen entlegenen Flecken am rumänischen Ufer des Dnjestr“ und setzte über den Fluss. Sechs Jahre später wurde der „weiße General“ von den GPU-Schergen hingerichtet.

Am 30. Januar 1930 unterzog Stalin bei einer Sitzung des ZK der KPDSU die INO (Innostranny Otdel), die Auslandsabteilung der Tscheka, einer Revision, wobei die Informationsbeschaffung auf drei Zielgebiete zu konzentrieren war: 1.) Großbritannien, Frankreich, Deutschland; 2.) Polen Rumänien, Finnland und die baltischen Staaten; 3.) Japan.

Der „wohl begabteste“ Agent war der österreichische Jude Arnold Deutsch. Er wird im vorliegenden Werk als einer „der brillantesten Akademiker im sowjetischen Nachrichtendienst“ genannt. Seine Tätigkeit führte den Doktor der Chemie mit Philosophie- und Psychologiestudium 1928 „nach Rumänien, Griechenland, Palästina und Syrien“.

Natürlich agierten die sowjetischen KGB-Agenten – diese Bezeichnung gibt es seit 1958: Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti (Komitee für Staatssicherheit) – auch nach Stalins Tod in den „Bruderländern“. In Mitrochins Archiv findet man Belege für die Aktivitäten des „Illegalen“ Stanislaw Malotenko. Er hatte die angenehme Aufgabe, Urlaubsgebiete in der Ukraine, Bulgarien, Rumänien und der Tschechoslowakei zu besuchen, um dort „als westlicher Tourist getarnt“ herauszufinden, „wie bereitwillig weibliche Agenten ohne Erlaubnis (des KGB) intime Beziehungen zu Ausländern“ pflegten. Es schien damals, 1966/1967, nicht besonders gut um das Vertrauen in den eigenen Reihen bestellt gewesen zu sein.

Im Jahre 1971 konzentrierten sich die westlich getarnten Sowjetagenten auf die „Beziehungen Rumäniens zu den USA und China, die rumänischen Ansprüche auf sowjetisches Territorium in Bessarabien und der Nordbukowina, die politische und wirtschaftliche Basis der Opposition gegen die Sowjetunion, die Haltung der deutschen und ungarischen Minderheiten, der Ceauşescu-Kult und der Zustand der KP Rumäniens“. Dabei suchten diese Agenten natürlich Kontakt zu potentiellen rumänischen „Quellen“. Zu diesen Quellen zählten auch Mitarbeiter der deutschsprachigen Zeitschrift VOLK UND KULTUR. Weitere Details zu eventuellen Kontaktpersonen werden im Buch aber nicht angeführt.

Die vorliegende Archivbearbeitung – von einer Dokumentation kann man eigentlich nicht reden, sind die eingestreuten Zitate aus Wassili Mitrochins Archiv doch ziemlich spärlich – schildert vor allem die Aktivitäten des KGB nach außen. „Moskaus Kampf gegen den Westen“ heißt es auch im Untertitel. Die Gräueltaten des Sowjetregimes im eigenen Land kommen nur am Rande vor. Sie sind auch eher ein Thema für das eingangs erwähnte Schwarzbuch des Kommunismus. Dass aber erst der KGB diese überhaupt ermöglichte, liegt auch für Andrew und Mitrochin klar auf der Hand. Ihr Fazit ist eindeutig: „Der KGB war wirklich Schwert und Schild des sowjetischen Systems gewesen.“



Christopher Andrew und Wassili Mitrochin: Schwarzbuch des KGB – Moskaus Kampf gegen den Westen; Propyläen Verlag 2002, Gebundene Ausgabe: 848 Seiten, ISBN-10: 3549055889, ISBN-13: 978-3549055885, € 11,00

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