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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2005-09-21 | |
Gero von Wilperts „Lexikon der Weltliteratur“ stellt Čingiz Ajmatov (*1928) als kirgisisch-sowjetischen Prosaisten mit prägnantem Stil vor. Sein Erzählwerk habe einen lyrischen Einschlag und sei im Thematischen besonders moralischen Fragen zugewandt. Die Liebesgeschichte „Džamilja“ wurde von Louis Aragon gerühmt und sei weit bekannt.
Dshamilja Dshamilja ist jung, schön und verheiratet. Ihr Leben fristet sie im Ail (Dorf) an den Ufern des tosenden Flusses Kukurëu mit schwerer körperlicher Arbeit und mit einer qualvoll unterdrückten Leidenschaft für den kriegsversehrten und geheimnisvollen, aber vor Männlichkeit und gleichzeitiger Gefühlszartheit strotzenden Danijar. Ihr Mann liegt in Saratow im Lazarett. Es ist eben Krieg. Niemand ahnt von der sich anbahnenden großen, verbotenen Liebe. Nur der 15jährige Ich-Erzähler befürchtet, was zur Gewissheit werden sollte. Seine führ Dshamilja zart keimenden Zuneigungen lassen die in ihm schlummernden künstlerischen Triebe ausschlagen. Er war Dshamiljas Kitschine-bala, also der jüngere Bruder ihres Mannes, und malte eines Tages das von ihm vergötterte und beneidete Liebespaar. Wenn die Erzählung auch von der ersten bis zur letzten Satzreihe durch ihren lyrischen Einschlag berührt, so sind die Szenen der Reifeerkenntnisse des jungen Erzählers doch mit herausgehobener sprachlicher Schönheit festgehalten: „Ich verlor die Menschen, die mir am liebsten waren, mir am nächsten standen. Und erst jetzt, als ich verzweifelt auf der Erde lag, begriff ich, dass ich Dshamilja liebte. Ja, sie war meine erste, noch kindliche Liebe gewesen.“ Du meine Pappel im roten Kopftuch So nennt ein junger Mann seine Angebetete. Aber damit ist der Reichtum seines Kosewortschatzes noch lange nicht ausgeschöpft. „Meine Steppenpappel! [...] Asselj hatte mein Herz gerührt und meine Seele in Aufruhr versetzt.“ Iljas Alybajew heißt dieser grundehrliche Mann, der Asselj liebte, sie verließ, wieder suchte und fand, um dann zu erkennen, dass es im Leben nie wiedergutmachbare Fehler gibt. Seine Geschichte ist die eines mit seiner Landschaft, dem Tienschan-Gebirge mit seinem Dolon-Gipfel, aber auch mit der Steppe vor den kirgisischen Bergen und dem Issyk-Kul-See innig verbundenen Menschen. Tschingis Aitmatow lässt die Natur immer am Seelenzustand seiner Helden teilhaben. Bei Hochstimmung gerät alles in Bewegung: „die Berge, die Felder und die Bäume“. Umgekehrt kann der „immer warme See“ in einer von Gewissensbissen belasteten Seele plötzlich „kalt und unfreundlich“ sein und sich von dem Betroffenen „seufzend“ zurückziehen. Iljas und Asselj sind die Protagonisten eines klassischen Liebesdramas. Ob die junge Frau, die sich mit ihrem und Iljas Söhnchen in die Obhut eines zweiten Mannes begibt, von dem Gefühl ihrer ersten großen Liebe etwas mit in diesen zweiten Lebensabschnitt retten konnte, lässt der Autor eben offen. Baitemir Kulow ist ein seelguter Mensch. Aber eine Zweckehe braucht anscheinend doch mehr Zeit, als man ihr in einer Erzählung einräumen kann, um in Leidenschaft umzuschlagen. Interessant ist der Aufbau dieser Erzählung. Aitmatow lässt sowohl Iljas als auch Baitemir ihre Lebensgeschichten, deren Mittelpunkt Asselj wurde, einem ebenfalls in der Ich-Form berichtenden Journalisten erzählen. Aug in Auge Was dazu führte, dass Mann und Weib sich Aug in Auge, entfremdet, zum Teil sogar entmenschlicht gegenüberstehen, war der Krieg. Obwohl er weit, irgendwo in Europa tobte, wirkte er verheerend auch in dem längst all seiner wehrfähigen Männer verlustig gewordenen Ail am Fuße der Alatam-Gebirgskette. Ismail flüchtet in der Schlucht Tschornaja Gora aus einem Militärzug. Er will nicht im Krieg sterben. „Was habe ich denn dort an der Front verloren, irgendwo am Ende der Welt?“, stellt er sich die logischste aller Fragen und sucht nach Rechtfertigungen. „Ich allein bezwinge den Feind nicht, die schaffen es auch ohne mich.“ Diese Erzählung Aitmatows zeichnet die erschütternden Psychogramme eines Deserteurs und (besonders) seiner jungen Frau Sejde. Die Menschen in dem kirgisischen Dorf sind bitterarm. Alle leiden fürchterlich unter Hunger und quälender Ungewissheit. Sejde trägt dazu noch die Bürde eines schwer belasteten Gewissens. Ihr Mann verwahrlost in seinem Versteck irgendwo in den Schluchten des Vorgebirges. Er schreitet zu Taten, die nur noch vom Überlebensinstinkt gesteuert werden und stellt so seine Frau vor existenzielle Lebensfragen. Schlicht, mit einfachen Worten steuert der Erzähler den Konflikt zwischen der im Schmerz gestählten Menschlichkeit und der abseits der Gesellschaft gereiften kriminellen Triebe einer Entscheidungsfindung zu. Er bezieht auch Stellung, eindeutig, ohne trotzdem den Gesunkenen zu verdammen. „Jetzt standen sie einander dicht gegenüber, Aug in Auge. Doch Ismail erkannte die frühere Sejde nicht wieder. Die grauhaarige, barhäuptige Frau, die ihm, ihren Sohn auf dem Arm, so furchtlos entgegentrat, war eine andere, ihm fremde, und es schien ihm plötzlich, als stehe sie in ihrem Leid hoch, unerreichbar hoch über ihm, als sei er ohnmächtig und armselig vor ihr.“ Das ist wahre Antikriegsliteratur, was Tschingis Aitmatow hier geschrieben hat. Tschingis Aitmatow: Liebesgeschichten. Unionsverlag Zürich, 2002; ISBN 3-293-20221-7; 9,-- EURO |
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