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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2011-03-13 | |
Ganz vage Erinnerungen an deutsche Kriegszeitschriften und Propagandahefte der Nazis mit farbigen Kriegsbildern gehören zu meinen ersten verschwommenen Vorstellungen vom Krieg. Wie alt mag ich da gewesen sein? Vielleicht zehn oder elf. Sie regten unsere Abenteuerfantasien an und veranlassten uns zu Kriegsspielen im Gassengraben oder am Dorfrand. Irgendwann sind diese Hefte verschwunden. Wahrscheinlich hat sie ein umsichtiger Elternteil im Backofen verheizt. Man wusste ja nie – im kommunistischen Rumänien konnte der Besitz solcher Blätter gefährlich sein.
Die unselige Kriegszeit war eigentlich nur noch als geschichtliche Momentaufnahme im kollektiven Gedächtnis der Deutschen – die Mehrheitsbevölkerung in diesem Banater Dorf – geblieben. Wir Nachkriegskinder hörten zwar öfter „als die Deutschen da waren“ oder „als die Russen da waren“, aber das war dann auch schon alles. In der Schule gab es für uns in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts nur die „bösen Faschisten“ und die uns von diesen „befreienden Sowjetsoldaten“. Das ergab im Kopf eines 12-Jährigen ziemlich konfuse Konstellationen. Die persönlichen Erinnerungen der Großeltern und Eltern schlummerten in von Alltagssorgen beanspruchten Köpfen oder hie und da auch noch in einer Kartonschachtel mit vielen Familienfotos - Bilder mit deutschen Soldaten, die im Elternhaus einquartiert waren. An solche Fotos erinnerte ich mich kürzlich, als die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG vom 6. Februar 2011 ein Essay von Axel Brüggemann unter dem Titel „Am Beispiel meines Großvaters“ veröffentlichte. Die Redaktion stellte dem Text folgende Kurzerläuterung voraus: „Die letzten der Soldaten, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, sterben. Die meisten haben ungern über ihre Erlebnisse gesprochen. Ihre Enkel müssen sich mit alten Fotos und Briefen behelfen. Unser Autor ist solchen Funden vom Dachboden nachgegangen. Am Ende muss für seinen Opa Johann ein anderer sprechen.“ Dieses Essay passt eigentlich genau in die Zeit der Offenbarungseide, deren wir in den letzten Jahren, mit teils sehr prominenten Protagonisten, teilhaftig wurden. Mein Vater müsste eigentlich eine solche Schachtel haben, wenn sie nicht bei der Auswanderung in Jahrmarkt/Giarmata zurückgeblieben ist, oder gar ein Teil ihres Inhaltes im Kesselhaus landete. Also fragte ich nach. Und siehe da, die Fotos existieren und sind sogar in einem Fotoalbum sorgsam für die Nachwelt aufbewahrt. Man kann also wieder reden über damals und nachgucken, was davon übriggeblieben ist. Aber als hätte dieses „ungern über ihre Erlebnisse sprechen“ sich auch auf die nachkommenden Generationen übertragen. Die Fotos sind zwar da, sagen aber nicht viel aus, ja nicht einmal die Namen der Soldaten sind auf die Rückseite geschrieben. Dabei hatte die Familie für dieses Foto ihre Sonntagskleidung angelegt. Es musste also eine feierliche Stimmung geherrscht haben - ein Bild mit unseren deutschen Soldaten. Nach hartnäckigem Fragen wollte mein Vater sich doch noch entsinnen, zumindest zum Teil. Der Soldat links hieß Ernst Sausele und der rechte Erwin. Seinen Familiennamen hat die Zeit im Gedächtnis seiner Gastgeber verwischt. Auch keine Kunde von ihrem Schicksal hat nach dem Krieg den Weg nach Jahrmarkt gefunden. Oder doch? Ja, einer von beiden, oder die Familie eines von beiden, auch das ist nicht mehr klar, hat meinem Großvater, der hier noch so stolz seinen Sonntagsanzug trägt, ein Päckchen nach Wien geschickt, als man ihm dort beide Beine amputiert hat. Da war der Krieg noch lange nicht vorbei. (8. Mai 1945) Es waren auch noch andere Soldaten im Haus einquartiert. Zu einer anderen Zeit. Und meinem Vater vibriert die Stimme, wenn er erzählt, dass meine Oma mal einen von ihnen gefragt hätte, ob er denn auch eine Braut zu Hause habe. „Dort steht meine Braut“, soll er ohne jedwede Begeisterung in der Stimme geantwortet und auf sein Gewehr gezeigt haben. Ja, von ihm, nur von ihm weiß man heute noch Genaueres in der Familie. Er ist nur wenige Wochen später weit im Osten gefallen. Sein Name?, wollte ich wissen. Dem Vergessen anheim gefallen. Nein, eine Braut hat er dort bestimmt nicht gesucht, dieser junge Mann in Uniform, dessen Antwort in einer Jahrmarkter Familie bis heute nicht vergessen ist. Wie sollte sie, die Antwort, auch, wo doch der Hausherr von damals die Auswirkungen des Krieges selber bitter am eigenen Leibe erfahren musste. Das Jahrhundert ist gegangen. Geblieben sind Fotos und Erinnerungen an ganze und halbe Namen ... und an vorahnungsvolle Sätze. Um dankbar für unser friedvolles Leben sein zu können, sollten wir uns diese Bilder immer wieder anschauen und versuchen, diese Begegnungen von damals zu deuten. Sie scheinen allen Beteiligten Freude bereitet zu haben. Für allzu viele von ihnen, waren es aber vielleicht die letzten Freuden in einem kurzen Leben, das einer sinnlosen Völkermordideologie geopfert wurde. |
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