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Eine Fibel der anderen Art
artikel [ Bücher ]
„Männerfibel“ von Gregor von Rezzori

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von [Delagiarmata ]

2010-12-29  |     | 



So stets in meinem Familienlexikon: Fibel, die 1) Kinderlesebuch, urspr. zu einem großen Teil aus Lesestücken aus der Bibel bestehend (daher die durch Entstellung entstandene Bezeichnung F.). Dient als Lehrmittel für den ersten Leseunterricht. – 2) Elementarbuch einer Wissenschaft. Aber da heißt es auch noch: Fibel (lat. Fibula = Spange), die, Gewandnadel mit Bügel, Vorläuferin der Brosche und Sicherheitsnadel.

Ob Gregor von Rezzori, der humorvolle Spötter, bei seiner Titelwahl an beide Begriffe gedacht hat? Eine Fibel für Männer als „Lehrmittel für den ersten Leseunterricht“ mit wissenschaftlichem Anspruch und gleichzeitig eine Fibel für die Schmuck liebende Frau? Wenn man seine Artgenossen, also das „Monstrum Mann“, derart filigran entblößt, könnte schon so manche Frau das Resultat als kunstvolle „Gewandnadel mit Bügel“ betrachten, die man in wohlwollendem Gedenken an Herrn Rezzori gerne trägt. Ich bin sauer, stocksauer.

Gregor von Rezzori, der Gesellschaftsbeobachter aus dem Buchenland mit der spitzen Feder, macht sich über uns Herren der Schöpfung lustig. Das ist höchst unanständig, wie ich finde. Und wie er das macht? Da steckt eine gute Portion Hinterfotzigkeit im System. Zeilen lesen reicht da nicht. Man muss zwischen ihnen lesen, um mitzubekommen, wie dieser Maghrebinien-Erfinder uns, besser gesagt, unseren vermeintlichen Schwächen auf die Schliche kommt. Und dafür entschuldigt er sich sogar noch und zwar gleich in der Einleitung: „Es war mein insgeheimer Wunsch, der MÄNNERFIBEL etwas von der Unmittelbarkeit des direkten Zugriffs und von der niemals gänzlich ausschöpfbaren Überschaubarkeit der Gemälde der sogenannten Sonntagsmaler zu geben. Da mir das nur sehr mangelhaft gelungen ist, erbitte ich die Nachsicht der geneigten Leser.“

Für fünf Kapitel sollte die Nachsicht eines geneigten Mannsbildes reichen. Die Frauen können sich ruhig genießend in ihrer Schadenfreude einrichten. In „sieben Lehrstücken über die Schönheit“ werden wir „über den Umgang mit Frauen“ belehrt. Um „über den Umgang mit Männern“ zu philosophieren, entwirft Rezzori „sieben Lehrstücke über den Streit“ und spricht oder schreibt vom „rücksichtslosen eigensüchtigen Pack“. Hm, da fällt mir ganz spontan mein Arbeitsplatz ein.

Um „des Pudels Kern“ freizulegen, bedient der philosophierende Buchenländer sich „sieben Bruchstücken über die Liebe“. Und wie schön er ein literarisches Genre als Beispiel für eine Definition der Liebe einsetzt. Man ist fast geneigt zu glauben, ein seriöses Buch in den Händen zu halten, wenn es da heißt: „Das große Kunststück des Essayisten besteht darin, sich mit seinem Gegenstand so innig zu identifizieren, daß seine Person dahinter verschwindet, sich gleichsam auflöst, und in diesem Gegenstand wiederum zusammensetzt. – Wir verlangen das gleiche von der Liebe.“

Gregor von Rezzori macht sich weiter Gedanken über die Gesellschaft, und zwar in „neun flüchtigen Traktaten und einem Lobgesang“. Er lässt hier mehrere namenlose Personen mit unterschiedlichen Charakterzügen zugeordneten Benennungen diskutieren. Zu Wort kommen der Neugierige, das liebe Kind, der Lügner, der etwas beschränkte Gesprächspartner und der allseits beschlagene und ungemein gescheite Kommentator. Ob Letzterer Rezzoris Alter Ego ist, darf der Leser selbst vermuten oder anzweifeln. Es geht in den tiefgründigen Diskussionen allerdings nicht um das große nationale oder gar globale Gesellschaftsbild sondern um die kleinen Gesellschaftsstrukturen. Und es geht um die Abhängigkeit des Individuums von den ungeschriebenen Alltagsregeln.

Hier hat Rezzori längst den spöttischen Unterton seiner Sprache abgelegt. Wie bisher erkennen wir uns zwar immer noch, aber oft auch schmerzlich, wenn wir auf die Unvermeidbarkeit so mancher Widerlichkeiten unseres eigenen Daseins treffen, uns unserer Ohnmacht, ja Wehrlosigkeit voll bewusst werden. Rezzoris Auslegungen zum Indefinitpronomen „man“ schaffen zum Beispiel Anreize zu ernsten Selbstreflexionen. „Wer oder was ist dieses MAN, das unser Leben in eine bestimmte Richtung drängt, uns vielfach zu Handlungen, Unternehmungen zwingt, die wir gar nicht tun möchten, die uns lästig sind, uns nicht erlauben, wir selbst zu sein, zu sein, was wir sind und wie wir sind; die uns beständig einen am andern messen läßt, uns ratlos und aufgeregt macht, uns hetzt und was nicht alles?“ Das ist der rhetorisch fragende Gregor von Rezzori. Lesenswert!

Mit einem „überflüssigen Anhang“, dem „Dandy“ gewidmet, klingen diese mal ironisch, mal spöttisch aber auch so manchmal ernst gemeinten und ebenso formulierten Lebensweisheiten Gregor von Rezzoris (1914 – 1998) aus. Man sollte sie sich zu Gemüte führen, aber bitte ohne sich „die moralische Wertung, die dem Begriff MAN“ innewohnt, zu sehr zu Herzen zu nehmen. Frei und locker zugreifen – oder gleich liegen lassen. Das ist eigentlich Gregor von Rezzoris Rat.


Gregor von Rezzori: Männerfibel – mit 24 Zeichnungen von Gregor von Rezzori; Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg, 1955 ( Verschiedene spezialisierte Internetportale bieten das Buch noch zum Verkauf an.)


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