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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2005-04-26 | |
Diese Veröffentlichung gehört zur Gattung Referatsammlung, die in letzter Zeit die Anthologiereihen der deutschen Verlage bereichert. Und es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Bereicherung, werden uns doch ganz verschiedene und vielfältige Darstellungen eines facettenreichen Themas dargeboten. Solche Sammelbände haben zudem das große Verdienst, auch Autoren (in diesem Fall Literaturwissenschaftler & -kritiker) zu Wort und Schrift kommen zu lassen, die als Einzelagierende gar nicht oder nur mit großer Mühe und viel Glück mit ihren Arbeiten die breite Öffentlichkeit erreichen würden.
Der vorliegende Band enthält die Referate zum Thema „Deutsche Literatur in Rumänien und das Dritte Reich – Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung“, die bei der 37. Jahrestagung (10. bis 12. September 1999) des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde Heidelberg in München gehalten wurden. Als Mitorganisatoren werden in der Einleitung noch das Institut für Geschichte Ost- und Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität München und das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas München genannt. Letzteres zeichnet dann auch für die Herausgabe im eigenen IKGS Verlag. „Wissenschaft ist qualifizierte Erinnerung“, behauptet der Ministerialrat Dr. Matthias Buth in seinem Einführungsreferat. Er ist überzeugt, dass Autoren aus dem (groß)rumänischen Raum nicht vergessen werden, „so sie denn über eine wahrhaftige Sprache verfügen“. Als Beispiel nennt er Namen wie Oskar Pastior, Alfred Margul-Sperber, Werner Söllner, Franz Hodjak, Herta Müller, Richard Wagner, Hans Bergel, Joachim Wittstock, Dieter Schlesak, Eginald Schlattner und Karin Gündisch. Ans Eingemachte geht es dann schnell bei Dr. Alexander Ritter, Priv.-Dozent für Literaturwissenschaftliche Seminare der Universität Hamburg. Seine Arbeit widmet sich allerdings nur der Rezeption der auslandsdeutschen Literatur im Dritten Reich. Es ist schon interessant zu verfolgen, wie die Bedeutung der deutschen Auslandsliteratur mit der Indoktrinierungsmaschinerie im gleichen Zylindertakt einherging. Besonders für Mundartsprecher und (vereinzelt) Dialektautoren mag folgender Erklärungsversuch dieser Gleichschaltung interessant sein. Zu der Abhandlung „Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland“ (1985) von Ruth Römer schreibt Ritter: „Ihre Beobachtung, hier nur verkürzt aufs Grundsätzliche wiedergegeben, gilt für Minderheiten in weitaus höherem Maße, weil ihnen Sprache existentiell entscheidendes Medium und kulturelles Gedächtnis für Identität ist. Dabei dominieren, entwicklungsgeschichtlich begründbar, die Mundarten.“ Das Hauptaugenmerk gilt aber natürlich der Hochsprachenliteratur. Dr. Cornelius R. Zach nimmt „Das geistige Leben im Rumänien der Zwischenkriegszeit – politische Doktrinen und literarische Strömungen“ unter die Lupe. Als Historiker bietet er dem Leser dieses Bandes den wichtigen zeitgeschichtlichen Ãœberblick und leuchtet das multiethnische Umfeld aus, in dem das rumänische, sowohl politische als auch literarische, Element dominiert. In der Zeit des Dritten Reiches war es auch bei den Rumänen normal, dass „eine Schlüsselrolle in der Selbstdefinierung des Schriftstellers und in seiner Rezeption [...] seine literarische Stellungnahme gegenüber dem eigenen Volk und Land bzw. seine Einstellung zum Nationalsozialismus“ spielte. Der Schriftleiter der in München erscheinenden Kulturzeitschrift „Südostdeutsche Vierteljahresblätter“, Johann Adam Stupp, wird dann erstmals konkret. Um wen geht es eigentlich? Um „deutsche Autoren aus Rumänien in Hitlerdeutschland“. Man kann auch hier differenzieren. Es gab im damaligen Großrumänien lebende, deutsch schreibende und in Deutschland in Insiderkreisen bekannte Autoren und andere, die aus Rumänien stammend im Reich lebten. Letztere stellt Stupp einzeln mit bio-bibliographischen Daten vor: Richard Csaki (1886 – 1943), Georg (von) Drozdowski (1899 – 1988), Franz Karl Franchy (1896 – 1972), Egon Hajek (1888 – 1963), Thusnelda Henning (1877 – 1965), Franz Xaver Kappus (1883 – 1966), Fritz (Michael Arthur Friedrich) Klein (1895 – 1936), Lutz Karodi (1867 – 1954), Franz (Frank Togo) Muth (1905 – 1979), Fritz Heinz Reimesch (1892 – 1958), Gregor von Rezzori d’Arezzo (1914 – 1998), Erwin Wittstock (1899 – 1962), Hans Wühr (1891 – 1982) und Heinrich Zillich (1898 – 1988). Der Honorarprofessor Dr. Stefan Sienerth, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas und Lehrbeauftragter der Ludwig-Maximilians-Universität München, analysiert die Präsenz der Schriftsteller „Adolf Meschendörfer und Heinrich Zillich im Literaturbetrieb des Dritten Reiches“. Es seien hier nur zwei Sätze Sienerths, die in zwei verschiedenen Kapiteln seines fesselnden Referats stehen, hintereinander gestellt. 1. „Nicht alle konservativen oder rechtsnationale Schriftsteller der Weimarer Republik ließen sich in den Dienst der Partei stellen, selbst wenn sie zunächst den Erfolg der Nationalsozialisten unter Hitler begrüßt hatten.“ 2. „Die Sympathie der siebenbürgischen Autoren Adolf Meschendörfer und Heinrich Zillich für das nationalsozialistische Deutschland steht außer Zweifel.“ Ewiggestrige dürfen sich an dieser Studie getrost weiter reiben, denn Sienerth wäre kein ausgewiesener Fachmann auf seinem Gebiet, wenn er diese These nicht überzeugend untermauern würde. Dr. h. c. Joachim Wittstock, Schriftsteller und Literaturhistoriker aus Hermannstadt/Sibiu, schreibt über „Erwin Wittstock in Deutschland“. Und das bei dieser Themenvorgabe. In Juristenköpfen würde bei einer solchen Namenskonstellation ein einziger Begriff herumgeistern: Befangenheit. (Das ist nur eine subjektive Wahrnehmung, die ich hier der Ehrlichkeit halber niederschreibe.) Da kann man natürlich nur mit einer gewissen Nachsicht registrieren, dass Erwin Wittstock in seinen öffentlichen Äußerungen „nicht – zumindest nicht ostentativ – in die typische Diktion von Propagandisten des Dritten Reiches“ verfiel, „sondern [...] sich um einen eigenen Ausdruck“ bemühte. Der Versuch, Schuld aus dem Spiel zu lassen, durchzieht diesen Beitrag wie ein roter Faden und wird so selbst zur Anklage, nicht des Protagonisten, aber des so lange hier (Deutschland) wie dort (Rumänien) tabuisierten Themas der Mittäterschaft, in welcher Form auch immer. „An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen...“ fordert Gudrun Schuster, emeritierte Dozentin des Goethe-Instituts Inter Nationes München. Also da liest man dann doch viel, das herüber in die Gegenwart reicht und einen (falls er nicht total borniert ist) sich verlegen hinterm Ohr kratzen lässt. Ein Beispiel gefällig? „Die Zeit der Väter, der Ahnen wird als Motor für die Kräftemobilisierung in der Gegenwart beschworen, ein Sprach- und Stilmittel, das bei den traditionsbewussten Siebenbürger Sachsen – und bekanntlich nicht nur bei ihnen – immer schon beliebt war und daher sicher nicht ohne Wirkung blieb.“ Der Inhaber des Lehrstuhls für Germanistik an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu Horst Schuller beschäftigt sich mit Erwin Neustädter und der Schrifttumskammer der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“. Es ist sehr aufschlussreich, zu erfahren, wie die Vereinnahmung der Literatur durch den Nationalsozialismus vonstatten ging. Diese Schrifttumskammer war ein „nationalistischer Import“, der sich meist um Vorträge und Lesereisen für „konjunkturgeförderte Autoren aus dem Dritten Reich“ kümmerte. Einen wirklich verheerenden geistigen Schaden konnte dieses „von der Volksgruppe“ gegründete Amt schon wegen seiner kurzen Lebensdauer wohl kaum anrichten. Es wurde erst 1941 ins Leben gerufen und vom Schriftsteller Erwin Neustädter (1897 – 1992) geleitet. Dr. Peter Motzan ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas München und Lehrbeauftragter der Ludwig-Maximilians-Universität. Sein Beitrag steht unter der Ãœberschrift „Die ausgegrenzte Generation“ und behandelt „Voraussetzungen literarischer Produktion und Barrieren der Rezeption: Alfred Margul-Sperber und seine Bukowiner Weggefährten im Jahrzehnt 1930 – 1940“. Und damit ist der entscheidende Schritt ins weite Feld der deutschen Literaturgeschichte endgültig getan, denn ohne Rose Ausländer, Paul Celan und, nach der Feuilletonpräsenz der letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts urteilend, auch Gregor von Rezzori ist diese nicht mehr vorstellbar. Mit Letzterem beschäftigt sich auch Prof. Dr. Klaus Werner, Literaturwissenschaftler an der Schlesischen Universität Troppau/Opava. Dieser Rezzori war schon immer eine etwas zwielichtige und Kontroversen provozierende Figur des Literaturbetriebs. Als „nationalsozialistisch angehaucht“ geht er in seinen späten Schriften und öffentlichen Stellungnahmen mit dieser Beschuldigung eigentlich nicht wie ein reumütiger Sünder um, obwohl er von persönlicher „Schuld“ schon mal gesprochen haben soll. Sich nach dem Winde drehen muss ja nicht immer gleich dem Opportunismus anhaftende Schreckgespenster der Charakterlosigkeit vermitteln. Trotzdem sollte man das Dort und Hier nie verschweigen oder auch nur minimalisieren. Das gilt auch für Robert Reiter, später Franz Liebhard. Eduard Schneider, Projektmitarbeiter im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas München, ist bekannt als Reiter-Kenner. Er befasst sich in seinem Beitrag mit der Zeit Robert Reiters beim Kulturteil der SÃœDOSTDEUTSCHEN TAGESZEITUNG, Ausgabe Banat (1941 – 1944) und analysiert dabei den „Journalismus unter nationalsozialistischen Zwängen“. Schneider hebt immer wieder die Zwänge äußerer Umstände hervor, unter denen Reiter und andere Journalisten damals gearbeitet haben. Das unterscheidet sich eigentlich kaum von dem, was man so ab und zu von Journalisten deutscher Zunge aus dem sozialistischen, kommunistischen, ceauşistischen Redaktionsalltag erfährt. Nur die Dienstherren waren halt andere. Robert Reiter und Franz Liebhard haben eben allen gedient. Leicht war es bestimmt nicht. Schneider deutet dann mit dem Reiter-Gedicht „Wie ein Schachspieler“ auch auf so manche „Wege und Irrwege“ eines ereignisreichen Schriftstellerlebens hin. „... auch vor dem, was war, fürchte man sich.“ Das ist schon der zweite Aufforderungstitel in dieser Essay-Serie. Die freiberufliche Redakteurin im Verlagswesen, Dr. Edith Konradt, bedient sich seiner, um „die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in drei ausgewählten Romanen von Dieter Schlesak, Hans Bergel und Eginald Schlattner“ zu dokumentieren. Es wird klar, dass es die Literatur, und nur die Literatur, war, die Tabus, Verharmlosungen und Beschönigungen entkrustet hat. „Mittlerweile gehört Herta Müller zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren überhaupt und hat auch als moralische Stimme ein nicht unerhebliches Gewicht in der öffentlichen Diskussion erlangt.“ Auch darum gehörte eine Abhandlung (wenn auch nur punktiert) in diesen Sammelband, argumentiert Dr. René Kegelmann von der Universität Dorpat/Tartu. Er macht klar, dass Herta Müllers Diktaturenkomplex über die reuelosen Erinnerungen ihrer (und unserer) Elterngeneration, durch die Gesellschaftsfesseln des Dorfes in der Diaspora und durch den totalitären, diktatorialen Staatsterror den Weg in eine eigenwillige, metaphernstrotzende Literatursprache gefunden hat, letztendlich zum Wohle der deutschen Literatur und zum Missfallen ihrer Banater Landsleute. Ein lückenloses Personenregister und ein Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schließen diesen literaturwissenschaftlichen Querschnitt durch die einstige deutsche Literatur Rumäniens. Wohlgemerkt, ein Querschnitt eines festen Gegenstandes präsentiert uns lediglich zwei Ebenen, mit eventuellen Bohr- und Fräseinblicken in das Innere des Körpers. Das Ganze jemals mit einem Blick (sprich in einem Werk) zu erfassen, wird ewig Utopie bleiben. Trotzdem, weiter daran zu arbeiten, sollte als Auftrag für jeden Literaturwissenschaftler (oder Ingenieur) gelten. Das Problem liegt bekanntlich beim Geld. Der vorliegende Band wurde noch „mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ gedruckt. Michael Markel und Peter Motzan (Hg.): Deutsche Literatur in Rumänien und das „Dritte Reich“, Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung; IKGS Verlag, München, 2003; ISBN 3-9808883-1-2; 326 Seiten |
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