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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 15
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo] (1958 - 2014)

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von [Delagiarmata ]

2018-03-23  |   

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Ohne Telefon, ohne Arztpraxis, unter vielen Genossen

„Nein, wir brauchen kein Telefon!“, hat Vater in einem der Gesetze dekretiert, die über uns herrschen sollten, als Mutter eine Gelegenheit hatte, auch uns zu besorgen, was meine Kollegen aus dem Stadtzentrum hatten: ein Telefon.

„Wer uns sucht, findet uns, wer Zeit hat, nimmt die Straßenbahn auf dem Unirii-Platz und weilt bei uns ungestört, wer nicht, eben nicht“, war er überzeugt.

So war es auch. Wer mit uns in jenen Zeiten reden wollte, kam bis in die Perinița-Straße, nahm die Straßenbahn oder den Trolleybus und machte noch einen kleinen Spaziergang. Es kamen viele überraschend, angenehme Besuche und unangenehme.

Ich wusste sofort, ohne vorherige Warnung am Telefon, dass etwas Schlimmes passiert war, als ich meinen Lyzeumkollegen Adrian C. vor dem Tor sah. Bis zu uns kam man in extremen Fällen, aus Not, oder es kamen jene, die nicht wussten was anzufangen mit der Langeweile des „Blocklebens“.

Ich war im ersten Jahr auf der Hochschule und verstand in den ersten Augenblicken nicht, warum ein ehemaliger Lyzeumkollege mich besuchen sollte. Er kam zweimal und teilte mir mit, wie wichtig die Zeit ist und: die ZEIT vergibt nicht.

Unser Kollege Adrian H. und unser Rumänischprofessor, Herr Nicolae Saftu, waren brüsk aus ihrem Leben geschieden und aus unserem verschwunden.

Plötzlich waren wir der Zeit gleichgültig; auch dass wir dass Lyzeum erst abgeschlossen hatten oder noch träumten, uns mit unserem Kollege zu treffen und ihm an der Oper zu lauschen. Adrian H. hatte den einzigen Studienplatz am Konservatorium mit Leidenschaft besetzt.

Er hat uns durch die gesamte Lyzeumszeit mit seiner Gitarre begleitet, bei allen Schultreffen, als wir das Fallschirmspringen im Stadion „23. August“ probierten, in Parks und den sogenannten Tees. Adrian H. war einer der ersten Kollegen, die uns verlassen haben.

Sein Verschwinden ließ uns reifen. Es hat mir einen Todesgeschmack hinterlassen, „böse“, unvergleichbar mit den Todesfällen meiner Kindheit aus dem Stadtteil, die einer Art Unterhaltung von der nächtlichen Totenwache, über den Leichenzug durch die Straßen bis zum Auffangen der Münzen glichen.

Nicolae Saftu, „unser Professor“, wie ihn alle nannten, gehörte jedem von uns, denn er nannte uns beim Namen, kannte unsere Stärken und Schwächen, nahm uns ernst, wenn wir Probleme hatten. Ein Gentlemen im Jacket, ein hochgeschossener Mann, feines Parfüm, lächelnd über das ganze Gesicht, ohne Zähne oder Schmeichelei, ein Mensch „aus einem Guss“, hätte Mutter gesagt, der dir in die Augen sah und dich sofort einschätzen konnte.

Ein Professor*, der wusste, wie man Noten nach Leistung vergab, und wenn du zu viel geschrieben hattest, bekamst du keine große Note. Ich habe einmal vier Seiten mehr geschrieben, um zu zeigen, wie belesen ich sei. Er gab mir eine Zwei*.

„Mainka, Zwei.“
„Eh, schauen wir mal, wie du nach Hause gehst“, sagte Bebe, der Kollege aus der linken Bank im Chemielaboratorium.
Ich wurde bleich, hatte ich doch alles geschrieben, was ich wusste.
„Zwei … Zwei … Warum?“
„Damit du dir merkst, auf Fragen zu antworten, so viel, und mir nicht sagst, was du alles weißt, das interessiert uns nicht“, sagte Herr Softu, den niemand sich traute Genosse zu nennen, natürlich ohne es „nach oben“ zu melden.

„Oben die“ waren alle „Genossen“, er war „Saftu“ oder „Herr Saftu“, denn er gehörte „uns“ wie Mutter und Vater.

Bebe, unser größter Kollege in der Klasse, witzig mit seiner langen Tasche aus Tuch, in die ich nicht weiß ob alles hineinpasste, was wir benötigten, hatte bestimmt mehr im Kopf als ich in der Tasche. Ich hatte noch immer eine viel größere Schultasche, als Bebe schon eine Art Hippie war.

Herr Saftu benotete nach Genauigkeit und Kreativität, ganz anders als viele Professoren, die ich hatte oder denen ich später begegnete. Saftu hat der Schulzeischrift Leben eingehaucht, er korrigierte mit wenigen Worten, was Pädagogen und Eltern nicht gelang.

Wir waren der letzte Jahrgang vor seiner Pensionierung, und ich glaube, dass es keinen Schüler gibt, der sich mit schlechten Witzen, die seit eh un je über Professoren gemacht werden, an seine vergebenen Noten erinnert, sondern nur mit Respekt und Bewunderung, die weit über ein normales Erinnern an unsere Lyzeumszeit hinausgehen, von ihm spricht.

Die Begeisterung für die rumänische Literatur konnte er mit wenigen Worten in uns wachrufen:
„Mainka, du sollst nicht sprechen, du hast keine Luft, schreibe oder melde dich, bevor du etwas sagen willst, damit wir dir auch zuhören können. Und komm mit deinen Eltern.“

Der Rumänischprofessor rief die Eltern in seiner Freizeit zu sich, auch wenn er kein Klassenlehrer war, und sagte ihnen unumwunden die Wahrheit: Das Mädchen soll das oder jenes machen, das Kind ist überfordert. Es gab Eltern, denen diese glatte Wahrheit nicht gefiel. Mutter hat ihn ernst genommen, sie hat sein Rumänisch zwar nicht ganz verstanden, etwa was er mit Diktionsübungen meinte, machte aber alles so, wie Herr Softu es ihr riet.

Vater war, wenn ich mit lauter Stimme zu lesen begann und Übungen machte, fassungslos. Es hat ihm niemand aus dem Kopf genommen, dass mit uns Rumänen allen etwas nicht in Ordnung war. Es ist nicht möglich, dass du so etwas machst, wenn du „auf deinem Platz stehst“.

Also wie sollst du vor dem Spiegel stehen und mit lauter Stimme reden, unzählige Male „mu“ oder „mi“ sagen und einen Bleistift auf der Oberlippe halten, damit die Muskulatur sich verfestigt? Und wer braucht schon Muskeln unter der Nase?

Vater mischte sich in meine Erziehung nicht ein, kümmerte sich nicht um die Ausgaben für die Schule, eigentlich kümmerte er sich um nichts.

Wenn ihm etwas sonderbar vorkam, ein Schwager zu laut über den Tisch schrie und er von dem sächsischen Dialekt mit Weichsellikörduft nichts verstand, oder er nicht feierlich mit Herr Willi angesprochen wurde, dann hatte er seine Standardantworten mit je weniger Zwielauten oder Zwischentönen wie „ã“* und „ci“.

Aber das kam so selten vor, dass ich den Eindruck hatte, er kommt nach Hause, wie andere in Urlaub fahren: immer gut gelaunt, wenn er nur eine Woche blieb, und sehr bedrückt und in Gedanken versunken, wenn er nicht schnell einen Auftrag je weiter von Bukarest bekam, an den seltsamsten Orten des Landes, wo die Elektrifizierung und die Fünfjahrespläne miteinander im Wettstreit lagen.

„Komm Vater, ich will auch ein Telefon.“
„Es ist nicht gut.“
„Warum ist es nicht gut mit einem Telefon? So können wir auch mal mit Tante Frieda oder Tante Ziri oder Onkel Schuster reden oder …“
„Es ist nicht gut zu reden, ohne den Menschen zu sehen. So am Telefon, poa, sagt man viel, aber von Angesicht zu Angesicht weißt du sofort, was er sagt, was er denkt …“
„Gut Vater, das ist dein Problem, ich will abends aber auch mit meinen Freundinnen reden …“
„Sie sollen dir schreiben, schau, wir haben einen Postkasten, täglich kommt der Postbote, damit auch er etwas zu tun hat …“
„Wie sollen sie mir schreiben? Ich sehe sie doch täglich.“
„Wenn du sie siehst, warum willst du dann abends noch reden, abends denkst du nach, ruhst deinen Kopf aus, du wirst ihn noch benötigen … Und hör endlich auf mit diesen Aufgaben, mit ’mu’ und ’mi’, das schadet deinem Kopf …“

Er konnte die Übungen nicht ausstehen, vertrug die Katzen im Bett nicht und konnte nicht sehen, dass man den Hunden Schokolade gab. Sonst merkte Vater gar nicht, ob wir zu Hause waren.

Einmal bin ich drei Tage von zu Hause fern geblieben, um zu sehen, ob ich ihm fehle. Mutter war im Krankenhaus. Ohne Telefon konnte ich ihn nicht verständigen. Ich war in die Berge aufgebrochen, um meinen Gedanken Ruhe zu gewähren, wie er sagte. Und als ich zurückkam, fragte er mich gelassen, ob ich in der Stadt gegessen habe, wenn nicht, müsse er noch einen Teller mit Essen aufwärmen.

In unserer Straße hatte ein einziger Mensch ein Telefon: der Pförtner der Schule von vis a vis. Man nahm an, er wäre eine Art Straßenverwalter, so wie jeder Wohnblock einen Verwalter hatte.

Dieser, der Verwalter, war ein Mensch, der aufschrieb, wer hineinging, wer herauskam, welches Auto wo hielt, wer was brachte und ob die Menschen froh oder traurig waren.

So war auch der Mensch, der in unserer Straße das einzige Telefon hatte. Er war wütend, weil ihn niemand ernst nahm, nicht mal nachdem man ihm ein Telefon angeschlossen hatte und er offiziell Verwalter der Straße in ihrer ganzen Länge und Breite war.

Bei Wahlen hatte auch er Arbeit, im Rest, glaube ich, machte er seine Aufzeichnungen mehr oder weniger für sich. In meinem Dossier hatte er keine große Bedeutung. Die Nachbarn haben uns so gelobt, dass die Mini-Agenten, die bis ans Ende der Măgurele-Chaussee kamen, nicht mehr schreiben konnten, als wie bescheiden wir waren, wie höflich, und wie schön der Garten war, in dem, haben sie notiert, auch ich half.

Wahrscheinlich schrieben sie ihre Meldungen auch, nachdem sie nach Sonnenuntergang bei uns im Hof gegessen und getrunken hatten, sich natürlich als „beschäftigte Herren“ aufspielend.

Unglaublich, in einem sogenannten Dossier „der Securitate“ zu lesen, dass du „bescheiden und ordnungsbewusst bist und niemand störst“. Warum haben sie sich dann noch mit so unbedeutenden, banalen Menschen, die wir am Ende der Welt waren, befasst?

Die Geschichte der Dossiers dieser Menschen haben wir sowieso nicht verstanden, Vater wäre sehr verärgert gewesen, wenn er es erfahren hätte. Aber so haben wir erst nach dem Tode aller die, in einer Allgemeinschulkalligrafie verfassten, Blätter erhalten.

Vielleicht müsste ich zu diesem Verwalter gehen, der jetzt auf einem stabilen Stuhl auf der Straße sitzt oder mit dem Motorroller auf den Marktplatz fährt, und ihn fragen, warum er das getan hat. Ich glaube nicht, dass er sich noch erinnert, weder warum, noch wie er zu seiner Neigung kam, die Nachbarn „banal“ zu beschreiben, oder warum er die Autonummern, die vor dem Haus anhielten, notierte.

Ich nehme an, er hat uns in seinem Hang, ein Tagebuch über unser Leben zu führen, bedacht, weil Mutter ihn nicht zu meiner Konfirmation einladen wollte, oder wenn er versuchte, uns Schnaps oder Fleisch zu verkaufen, haben wir abgelehnt. Und wenn Vater mit ihm Tricktrack spielte, verlor er und ärgerte sich blau.

Sein großer Ärger wurzelt wahrscheinlich bis heute in der Tatsache, dass ihn niemand für sein Akkordeonspiel bewundert hat.

Er spielte halt nicht gut und Vater hat ihm nicht nur einmal gesagt, er möge sich ein anderes Instrument wählen. Dass sein Vater ein großer Geiger an der Barrierre war, hieß nicht, dass er sein Talent geerbt hatte.

Diese Herren, die uns im Stadtteil kontrollierten, brachte Genossin Orodel, um nicht mit leeren Händen zu kommen, wie eine Opfergabe ins Tor. Die Genossin wohnte auf der anderen seite der Chaussee und begleitete ich weiß nicht welche Funktion nach dem Sectorist* des Viertels.

Das Hauptwort „Sectorist“ ist verschwunden, aber nicht für alle. Es ist ein Substantiv, das so manche Erinnerungen wie Schwarz-Weiß-Bilder „bewegt“: Du kennst niemand, aber sie kommen dir bekannt vor und wenn du genauer hinschaust, beginnst du sogar, den einen oder anderen zu erkennen, und Erinnerungen von Ereignissen werden wachgerufen, die wahrscheinlich gar nicht stattgefunden haben.

So auch mit unserem Sectorist: Er war und war keine Gefahr, aber das Wort blieb schon beim Hören des Wortes für ewig eingeprägt.

Eigentlich weiß ich bis heute nicht, welche Ausbildung ein Sectorist haben musste.

Vater beeindruckte der Herr mit der Mütze und den breiten Schultern nicht, der von Zeit zu Zeit am Tor klopfte und energisch fragte:
„Guten Tag, wie viele Menschen wohnen in diesem Haus? Ich bin Sectorist und muss das wissen.“
„Ich weiß nicht …, ich bleibe nur für kurze Zeit und gehe immer wieder weg.“

Der Sectorist fragte dann: „Wo ist der Eigentümer?“

Vater sagte wieder „ich weiß nicht“, und von einem „ich weiß nicht“ ins andere „ich weiß nicht“ ergab sich eine Konversation über Stehlereien und Preise, über den Luxus meines Vaters, reisen zu können. Und so eröffnete sich dem Sectoristen die Möglichkeit, bis zum Abend bleiben zu können, als der Eigentümer kam, der natürlich Mutter war. So unterließ er es, bei uns zu kontrollieren. Er schaffte es weder, uns absurde und erfundene Strafgelder aufzubrummen, noch uns aus dem Haus zu jagen, denn er wollte die Rufe über den Zaun „wo ist die Partei, die Partei soll kommen“ nicht mehr hören.

Genossin Orodel trug immer einen roten Lippenstift in einem olivenfarbenen Gesicht auf, die Nägel waren blutrot und ihre Dauerwellen ansehnlicher als die der anderen Frauen im Stadtviertel. Ihre Stimme war fein wie das Geräusch eines Pfropfenziehers und sie spielte sich auf als Chef des Stadtteils.

Sie und Genossin Crăcia, Professorin an der Schule von vis-a-vis, hatten eine aufbauende Initiative für diesen von der Welt vergessenen Winkel. Eines Tages kamen sie, um meinen Eltern in einem Es-ist-Befehl-der Partei-Ton mitzuteilen, dass sie in die Stadt umziehen und Haus und Garten für ein Dispensar* räumen sollen. Sollten sie sich weigern, werden sie, die zwei Damen, ein Gerichtsverfahren wegen Nichteinhaltung der selbst erlassenen „Verordnung“ anstreben.

Also ein Sectorist, eine Lehrerin und ein paar vom Schnaps benebelte Nachbarn konnten über Nacht bestimmen, was sie wollten. Ah, ich habe die Partei vergessen, die Vater rief, um alles zu klären, und die, wenn ich mich gut entsinne, bei Hochsituierten als Blabla galt, während es bei den kleinen Leuten in jener Zeit ausreichte, ihnen zu sagen, „lass nur, du wirst schon sehen, wenn Vater kommt“.

Viel zu schwere Worte für meine Eltern, die sowieso nicht verstanden, warum gerade wir unser Eigentum zu Verfügung stellen sollten, und siehe, so begann ein Prozess mit Genossin Orodel.

Die Genossin argumentierte folgendermaßen: Wenn ich die deutsche Schule im Stadtzentrum besuche, Mutter im Zentrum arbeitet und Vater monatelang auswärts arbeitet, steht das Haus regelwiedrig unbenutzt da und muss in ein Dispensar für die „Kinder der Partei“ umgewandelt werden, das Land muss „erblühen“ und das Viertel „gesunde Kinder“ haben.

Vater zitterte der Bart, wenn er sich aufregte und die Wörter nicht fand. Aber für ein Gestotter reichte es doch: „Kinder, was für gesunde Kinder, schau dich an, mach viele Kinder und stecke sie in die Klinik, gearbeitet von deiner Mutter und deinem Vater, ja, ja, die Partei soll euch helfen und die Kinder erziehen, los, Frau, hau ab … dein Kind dick und dumm, das ist die Wahrheit …“

Ihr Pech war, dass sie immer kamen, wenn Vater zu Hause war und ihnen in einigen verdrehten Worten erklärte, dass es in keinem europäischen Land legal sei, ohne Gerichtsvollmacht zu enteignen. Und er benutzte dabei Schlüsselworte, die wie eine funktionierende Parole klangen. Man durfte sie bloß nicht überstrapazieren.
„Die Partei soll kommen, die Partei soll Gerechtigkeit geben … hier bin ich die Partei … wer arbeitet hat, wenn die Partei arbeitet hat sie ein Dispensar, wenn nicht, nicht …“

„Europäische Länder“ – ich glaube nicht, dass aus der Gruppe der Revoltierten, die ein Dispensar gerade in unserem Haus wollten, jemand wusste, auf was Herr Willi sich bezog.

„Europa ist überall“, erklärte Vater ihnen manchmal, mit seiner von den vielen Unfällen vernarbten Hand das Gesagte unterstreichend, und die Genossinnen schienen seine Gesten zu verfolgen, aber besonders war ihnen die Unschlüssigkeit ob der Kleidung dieses Willi anzusehen – kurze Hosen, weißes Hemd und fast immer gut gelaunt.

Vasile und Petre und Gogu oder wie die Männer der Genossinen hießen, spazierten in der Freizeit höchstens im gestreiften Standardpyjama oder im Overall mit mehr Löchern als Stoff durch die Straße, ja, sie bildeten die Mehrheit und definierten, was „normal“ war; und nicht Willi, blond, gereist, sonnegebräunt und Sprecher zu vieler Fremdsprachen für diesen Winkel der Welt, der aus dem Start das Eindringen jeder Veränderung, die zum Nchdenken anregen konnte, ablehnte.

„Da schau her, na und, Evropa soll bei sich bleiben, hier bei uns verantworten mal der Sectorist mal Genossin Orodel, wir sind Evropa … und was Herr, wenn wir sie bisher nicht gebraucht haben, was brauchen wir ihre Gesetze, es ist gut, so wie es ist, ja, ja … und wenn die Partei sagt, dass wir uns nehmen müssen, was wir benötigen, dann nehmen wir … und Evropa soll uns lassen, denn die Partei gibt uns Brot …“

Damals verstand ich nicht, was es bedeutet „sie gibt uns Brot“, ich dachte immer die hätten einen größeren Vorrat an Brot. Mutter tat so, als würde sie nicht hören, wenn ich sie fragte:
„Aber Mutter, warum gibt die Partei dir kein Brot.“

Ich war in einem Wocheninternat, wo man uns beibrachte, wie viele „Saatfelder“ es in Rumänien gibt, und wie viele Tannen, Berge und besonders wie viel Sonne. Ich habe die Hand gehoben und ergäntzt:
„Ja, es sind auch sehr viele Brotfabriken.“
„Von wo weißt du das?“, hat Genossin Vicki, die vom vielen Zigaretten rauchen wie ein Zug roch, mich gefragt.
„Ich weiß eben, dass ohne viele Brotfabriken die Partei nicht so viel Brot an alle Leute, wie ich immer höre, verteilen könnte, nur wir haben keins bekommen, aber ich glaube aus Versehen.“

Mutter wurde ins Internat bestellt und es begannen lange und unangenehme Nachforschungen, „wo das Kind gehört hatte, dass die Partei Brot gibt“. Wie auch immer, nach vielen Problemen hat Mutter Genossin Vicki verklagt, weil sie behauptet hatte, wir wären als Deutsche eine Gefahr für die anderen. Allzu viel weiß ich nicht mehr, aber die Partei hat Genossin Vicki abberufen, und in der großen Gruppe konnte auch ich mit den anderen Kindern spielen. Ich stellte mit meinen Fragen keine Gefahr mehr dar.

Die Vorträge über „uns“, „Europa“ und die „Partei“ konnten viele Stunden dauern, du konntest sie wo auch immer du wolltest hören, du musstest nur einen kurzen Satz, der die Wörter „Partei“, „Erde“ oder „unser“ enthielt, formulieren …

Genossin Orodel hat ihre Dauerwelle geschüttelt, sagte, sie käme mit der Partei, kam aber nie wieder. Der Sectorist hat einige Jahre lang nur in Eile über den Zaun gegrüßt und Genossin Crăcea traf mich immer in der Bushaltestelle und sagte mir zwischen dicken Lippen:
„Heh, und lernen diese Deutschen aus dem Zentrum dich etwas, sag mal, wer ist Eminescu? … Lass, der Bus kommt, aber komm zu uns in die Schule, um auch mir deine Hefte zu zeigen, damit ich sehe, warum du einen so weiten Weg bis zur Schule, in der man dich nicht Rumänisch lernt, zurücklegen musst.“

Ich habe das alles Mutter erzählt und sie hat mich beruhigt, das alles gut ist. Sie war der Meinung, bevor ich mich den ganzen Tag auf dem Roller durch die Straßen treibe und mit den anderen zum Kirschenstehlen gehe, solle ich lieber mit der Straßenbahn von einem Ende zum anderen fahren.

In der Haltestelle fragte Genossin Orodel, wenn sie mich sah, schmeichelnd, wo Vater ist, und schien fassungslos zu sein, weil ich das nicht wusste.
„Aber er wartet noch immer auf Sie“, flüsterte ich höflich.
„Ja, ich werde kommen, wenn Volkszählung ist, dann ist er verpflichtet, mit mir zu reden.“

Und wahrlich, bei der Volkszählung sind sie in Gruppenstärke angerückt, als würden sie sich gegenseitig stützen: der Sectorist voraus und die Frauen hinter ihm. Ich frage mich, ob jemand das alles, was in diesen Sonntagen geschrieben wurde, in Augenschein genommen hat, als in allen Schulen aus knarrenden Lautsprechern Soldatenmusik erklang, diese ganze Reihe von Gogus und Costels und Ramonas wollte nicht aufhören, und die Leute waren abends müder als nach einem Arbeitstag.

So vergingen die Jahre, das Viertel blieb ohne Dispensar, wir ohne Telefon, ich pendelte mit Sicherheit zweimal um die Erde, und das „Denken ringsumher“, glaube ich, kommt von diesen unendlichen Fahrten durch die Städte oder zwischen ihnen.

„Die Füße gehen nicht vom Gehen kaputt, sondern vom Stehen“, auch ein Sprichwort unter der Lizenz meiner Mutter, die sich den Entscheidungen meines Vaters nicht widersetzt hat, ein Leben lang glaubend, das er, ein Mensch, der so viele Wege zufuß aus diesem riesengroßen Russland zurückgelegt hat, bestimmt in allen Situationen gescheiter ist.

„In Rumänien eine vorgefasste Meinung“, versuchte ich Mutter zu erklären, aber es war zu spät, Vater war nicht mehr, die Zukunft war nicht mehr, sogar Rumänien war verschwunden, sich hinter einer anderen Fahne und dem gleichen Namen versteckend.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- Professor = im rumänischen Lehrwesen war Professor ein Beruf (ab der 5. Klasse) und kein Titel
- Zwei = die Notenskala in Rumänien reichte von 4 bis 10. Nur in extremen Fällen, etwa bei totaler Themenverfehlung oder dem Einreichen unbeschriebener Blätter, wurde auch schon mal eine 3 oder sogar 2 vergeben.
- „ă“ = rumänischer Vokal, Aussprache zwischen a und e, wie in lern„e“n
- Sectorist = für das Viertel zuständiger Polizeibeamte (Offizier oder Unteroffizier)
- Dispensar = Arztpraxis



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