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Benedikt XVI., Genscher, Grass, Hildebrandt, Schäfer, Walser, ... Kassner
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Kolumne 49

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von [Delagiarmata ]

2007-10-19  |     | 



Irgendeiner musste es ja von den Erwachsenen gehört haben. Ich weiß bloß noch, dass es bei uns Dreikäsehochs irgendwann ein Thema war. „De Safer“, hat einer gewusst, „hot e Radio-Plattenspiller un vun dem kann er uf’s Gheer die Notte schreiwe.“

Jeder in der Runde wird sich darunter wohl etwas anderes vorgestellt haben. Auf jeden Fall muss auch bei mir ein Eindruck entstanden sein, denn ich konnte mir als 12-jähriger Bub plötzlich vorstellen – wie damals viele Kinder im Dorf –, bei diesem Kapellmeister, dem Safer, ein oder auch mehrere Musikinstrumente zu erlernen.

Es war Mitte der 60er Jahre und die ersten Familien machten sich im Rahmen der Familienzusammenführung auf den Weg nach Deutschland, wobei auch das eine oder andere Hohner-Akkordeon schon weiterverkauft wurde. Bis zum großen Exodus sollten aber noch Jahre vergehen, Jahre, die es auch mir ermöglichten, „beim Safer Musikant zu lerne“ und mit ihm zu musizieren.

Obwohl nicht gerade vom Talent verwöhnt, aber ausgestattet mit dem nötigen Handwerkerehrgeiz, gelang es mir dann eines Tages wirklich, auf der Bühne zu stehen oder durch die Banater Dorfgassen zu marschieren - „im Safer seiner Kapell“. Es wäre auch keine falsche Bescheidenheit, wenn ich jetzt sagen würde, „er hot mich mitgholl“. Denn mal ehrlich: wenn dieser Mann ein Akkordeon vor der Brust hatte, war jede Unterstützung reine Makulatur. Gut, Blasmusik lebt auch von der Masse. Aber selbst hier gab es zu seiner Hoch-Zeit wohl kaum Banater Musikanten, die es ihm besonders auf dem Tenorhorn/Euphonium gleichtaten, wobei er auch auf der Trompete und dem Flügelhorn eine mehr als passable Figur abgab.

Automanager haben heute gerne Benzin im Blut. Mein Kapellmeister hatte und hat Musik im Blut. Wir waren auf der Heimfahrt in die Heckegemeinde Jahrmarkt. Drei Tage Kirchweihfest in einem Heidedorf lagen hinter uns. Er saß mir im Personenwaggon gegenüber und erst jetzt machte sich unser Generationenunterschied bemerkbar. Er schlief, ich betrachtete ihn. Die Finger seiner rechten Hand bewegten sich mit einer für Maurerhände äußerst ungewöhnlichen Grazie. Sie formten Melodien und Harmonien. Auch die linke Hand ruhte nicht leblos auf seinem Oberschenkel. Ich konnte genau erkennen, dass Zeige- Mittel- und Ringfinger sich ab und zu rhythmisch bewegten. Die Musik wallte im Blut meines Kapellmeisters.

Nein, es war nicht die Wissenschaft der Harmonielehre oder die Faszination der Musikgeschichte, die ich „vum Safer“ auf meine Lebensreise mitbekommen habe. Er hat mir nur das Mitspielen beigebracht. Mehr hätte ein Lehrer bei meinem eingangs erwähnten Talentpotential auch nicht geschafft, eben das Spielen im Orchester. Aber das war im wahrsten Sinne des Wortes ausreichend, um der besten Schülerkapelle Rumäniens unter Anton Renjé angehören zu können und dabei hervorragende Jungmusiker kennen zu lernen, die heute mit der Tonkunst ihren Lebensunterhalt bestreiten; ausreichend, um meine Militärzeit mit Bukarester Jazz-Musikern, schwäbischen Blasmusikassen und Banater Zigeunermusikanten verbringen zu dürfen, von denen Letztere so fabelhaft musizierten – bar jeglicher Notenkenntnisse -, dass ich heute noch Major Săndulescus bewundernde Feststellung im Ohr habe: „Was ihr da spielt, kann man nicht schreiben.“; aber auch ausreichend, um dem Taktstock eines Bernd Maltry - der seine Jahrmarkter Wurzeln nie verleugnete - 20 Jahre lang Respekt bezeugen zu dürfen oder auch heute noch dem Dirigat eines Christian Lombardi (beide Audi-Werkorchester) folgen zu können.

Jeder „vum Safer seine Musikante“ könnte eine eigene Erlebniskette schmieden, deren erstes Glied „Safer“ heißt. Bei mir kam mit jedem Glied ein Stückchen emotionales Näherrücken zur Musik im Allgemeinen hinzu. Das heißt Erleben, persönliches Verstehen und vor allem keimende Kraft zur eigenen Urteilsbildung – subjektiver, natürlich. Am Ursprung dieses Prozesses steht unverrückbar ein Name, ein Spitzname (charakteristisch für viele banatschwäbische Dörfer): Safer.

Heute feiert mein Kapellmeister in Reutlingen seinen 80. Geburtstag, „Stell der vor“, erzählte er mir vor etwa zwei Jahren am Telefon, „die hun mich schun mit siwe Johr mitgholl zum Spille. Aah wann’s in der Stadt war. Noher sin se ins Wertshaus gang un hun mich kloone Bu bei de Pheer geloss.“ Mit „die“ meinte er seinen Vater, der ihm das Talent in die Wiege gelegt und ihn mit den ersten Schritten des Musizierens vertraut gemacht hat, sowie den damaligen Kapellmeister Peter Loris, der dem kleinen Hansi zum ersten Mal die Chance gab, auf der Bühne zu stehen.

Die ’27er waren ein guter Jahrgang: Benedikt XVI. (Papst), Hans-Dietrich Genscher (Politiker, ehem. Außenminister), Günter Grass (Literaturnobelpreisträger), Dieter Hildebrandt (Kabarettist), Hans Schäfer (Fußballweltmeister in Bern), Martin Walser (Schriftsteller)... und Hans Kassner, alias Safer, mein Kapellmeister. Menschen, die stets für andere da waren, aber auch von den Bedürfnissen der Anderen gelebt haben, Menschen, die gaben und entgegennahmen, waren schon immer die erkennbaren Schrittmacher der Zivilisation. Einige haben im Großen gewirkt, andere im Kleinen.

Der Wirkungskreis meines Kapellmeisters war überschaubar, aber darum nicht weniger fruchtbar. Viele Menschen haben von seinem „Musikmachen“ in vielfältiger Weise profitiert. Ich gehöre zu ihnen. Dafür gehen mein Dankeschön und meine Geburtstagsgrüße heute auf Reisen, hin nach Reutlingen zu meinem Kapellmeister Hans Kassner, alias Safer.

Ad multos annos feliciter!


Fotocollage: Ewald Streitmatter

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